Eine Leidenschaft, die bei manchen Leiden schafft
Traurig, aber wahr, konnte ich feststellen, dass sich mein Freundeskreis in den vergangenen Jahren sehr verändert hat. Zwar sind glücklicherweise die richtig treuen Freunde bis heute geblieben und großartige Neue dazugekommen, jedoch ist ein deutlicher Rückgang am Anteil jener Freunde zu verzeichnen, die nicht die gleichen Interessen teilen.
Das liegt möglicherweise daran, dass es mir wirklich schwer fällt mich für die neuesten Modetrends und Promi Tratsch und Klatsch zu interessieren. (Andererseits sind diese Interessensgruppen auch eine eigene Spezies). Soll nicht heißen, dass ich selbst im Kartoffelsack und Barfuß rumlaufe. Der weibliche Anteil unserer kleinen Runde spricht auch ab und an über Mädchenkram und macht Sachen wie schminken, shoppen und Cocktails trinken. Dennoch fällt es schwer ein Gesprächsthema zu finden, das Bike-Freak und Mode-Geek gleichermaßen interessiert. Zum Beispiel gestaltet sich allein die Urlaubs- oder Wochenendplanung beider Parteien sehr unterschiedlich und stößt beiderseits auf Unverständnis. Smalltalk ist somit schon hinfällig und wenn er doch stattfindet wird er beiderseits gedanklich (oder bei sehr vertrauten Gesprächspartnern auch verbal) mit einem langgezogenem „langweilig“ beendet.
Immer öfter konnte ich in letzter Zeit das Phänomen beobachten, dass ein Nicht-Mountainbiker in einer Gruppe von Mountainbike-Geeks kaum eine Chance hat sich in die Gespräche einzubringen. Themenwechsel werden nicht selten durch unbedeutende Worte wie „Linien“ und „Kurven“ gesteuert und somit immer wieder zurück auf das Thema Zweirad-Sport gelenkt. Stundenlange Diskussionen über die Funktionsweise diverser Bike-Parts und Erörterungen über deren Vor- und Nachteile sind hier keine Seltenheit – nicht böse gemeinte Beschimpfungen inklusive. Wobei das Diskutieren über Vor- und Nachteile ohnehin schon einen sehr offenen und vertrauten Umgang mit dem Gesprächspartner voraussetzt. Denn wenn ein Mountainbike-Nerd einmal von etwas überzeugt ist, versucht er seine Meinung mit allen Mitteln in die Hirne der anderen einzutrichtern.
Die Grenze zwischen Begeisterung und ungesunder Obsession ist außerdem sehr dünn. So kann es schon mal vorkommen, dass man den ganzen Tag auf’s Essen vergisst, weil man den Tag, an dem die Strecke frisch geshaped wurde auf die letzte Minute ausnutzen muss. Gegessen wird dann am Rückweg im Auto, um zu Hause noch ohne Zeitverlust das Bike in Schuss zu halten oder die Live-Übertragung des World Cups anzuschauen. Und wenn man doch noch was erledigen muss unbedingt daran denken: irgendein Utensil am Körper muss darauf hinweisen, dass man gerade vom Biken kommt, um den Geruch zu rechtfertigen. Saubere Klamotten lassen in diesem Fall nur auf mangelnde Körperhygiene schließen.
Die Wohnungssuche für die Bedürfnisse dieser Obsession gestaltet sich zudem meist als höchst problematisch, weil man seine Liebsten ungern im Keller wegsperrt bzw dieser ohnehin meistens zu klein ist für fünf Räder. So finden sich Downhiller, Enduro, Dirtbike, Stadtrad und Rennrad im Wohn- oder Schlafzimmer ein und machen simple Dinge wie ins Bad gehen zum Hindernisparkour. Nicht nur einmal hab ich mir beim Aufstehen im Halbschlaf blaue Flecken eingefangen. An der Wand hängt ein Kalender in dem nicht etwa Geburtstage eingetragen sind, sondern die Wochenenden, an denen irgendein Bike-Festival oder Bikepark-Opening stattfindet. Außerdem findet sich der Helm meist als Dekorationsgegenstand wieder, eine alte Gabel wird zur Klopapierhalterung umfunktioniert und ein Raumspray steht oftmals nur aus gutem Willen aber ohne Sinn herum, um den Geruch der Protektoren zu überdecken. Selbiger befindet sich übrigens im Idealfall auch im Handschuhfach des Autos um Nicht-Mountainbikern das Mitfahren einigermaßen erträglich zu gestalten – Fenster auf reicht aber auch. Mehr als ein Beifahrer hat im Auto meistens sowieso nicht Platz und nicht nur im Notfall dient die Ladefläche des mit Sticker übersätem Kombis auch als Schlafgelegenheit.
Umso länger ich mich mit diesem Thema beschäftige, umso klarer wird mir, dass wir Mountainbiker ein wirklich sehr eigenes Volk sind. Allerdings habe ich mir sagen lassen, dass es in Kreisen anderer Sportarten ähnlich zugeht (was mich ein wenig beruhigt).
Schlussendlich bin ich froh eine Leidenschaft zu haben, die man mit so vielen Gleichgesinnten teilen und ausleben kann. Denn Situationen in denen eine „nette Runde“ zusammensitzt und jeder nur in sein Smartphone schaut sind wohl traurigerweise niemanden fremd.