64,4 km/h auf dem Tacho und vor mir kippt die Piste ins Bodenlose: Das ist wohl der Panorama-Hang, von dem ich vorher schon so viel gehört hatte. Und so rutsche ich in diesen Hang hinein und überlege mir ernsthaft, wie ich ohne Sturz durchkommen soll, so steil und ausgefahren ist er. Aber erstmal ganz von vorne:
Saas Fee, Glacier Downhill heißt der Event, der in großen Lettern auf zugehöriger Internetseite prangt. 2015 wollen wir teilnehmen, weil alle anderen Rennen, die wir in den letzten Jahren mitgefahren sind, zwar immer noch Spaß machen, aber nicht mehr denselben Adrenalin-Kick auslösen, wie es noch am Anfang der Fall war. Man ist eben ein Abhängiger, der immer mehr von seinem Stoff braucht, um den selben Kick zu bekommen.
Freitag, Anreise aus Regensburg. Fahrstrecke nach Saas Fee 750 Km über Genf, oder 670 über den Lago Maggiore, die zeitlich längere Strecke, aber dafür auch die schönere: San Bernadino-Pass, Lago Maggiore, Simplon Pass. Alles gut klingende und bekannte Namen. Dem Lago Maggiore und seinen frühlingshaften 16 Grad haben wir es dann auch zu verdanken, dass wir das Training am selben Tag um 16 Uhr verpassen (die Pizza in der Sonne war doch etwas wichtiger) und somit heißt es für uns: Start ohne die Strecke je gesehen zu haben – zumindest nicht in echt, denn auf den youtube-Videos haben wir uns bereits informiert. Die Adrenalin-Auschüttung sollte also, so wie gewollt, recht hoch sein, denn wer fährt schon ein Rennen von einem 3500m hohen Gletscher über Skipisten auf einem Mountainbike, ohne sich die Strecke mal angesehen zu haben, naja, wird schon schiefgehen.
Samstag Morgen – 04.57 Uhr: Der Wecker reißt uns aus dem eh nur sehr leichten Schlaf. Nun schnell Sachen einpacken und ab zur Gondel, die ab 6 Uhr alle Biker von dem 1800m hoch gelegenen Saas Fee auf den Gletscher bringt, wo das Rennen in Massenstartmanier, vor dem regulären Skigebietsbetrieb, startet.
Auf 3485m Höhe angekommen heißt es die letzten 15 Hm zu Fuß zu bewältigen –klingt erstmal langweilig. Allerdings schindet sich der Körper in dieser Höhe nach Sauerstoff schnappend die letzten Meter in die Höhe – der erste Vorgeschmack aufs anstrengende Rennen. Oben angekommen, stehen wir zwischen 240 der wohl verrücktesten Biker, die es im Alpenraum gibt. Teils in ekelhaft enge (Mädels, da gäbs was zu sehen, aber ihr wolltet ja nicht mit 🙂 ) Rennanzüge, oder aber auch ins Dinosaurierkostüm gehüllt, fiebern alle dem Start entgegen. Schönstes Wetter und der wunderbare Sonnenaufgang vergolden die Wartezeit.
3 Min. bis zum Start: Jeder steht bei seinem Bike und ich freue mich wahnsinnig auf die ungewisse Fahrt über 1700 Tiefenmeter und schwarze Pisten bis ins Tal nach Saas Fee. Die Schnellsten schaffen diese Strecke in etwa 7 min, allerdings meiner Meinung auch bevorteilt. Denn warum wir zu dritt auf den Startplätzen 148-150, also mitten im Feld starten müssen, kann uns keiner erklären. Warum ein Freund aus der Schweiz auf Platz 49 starten darf, obwohl er sich 4 Monate später angemeldet hatte, auch nicht. Zuerst die Schweizer, dann der Rest? Naja, egal.
Der Startschuß: Die ersten Meter laufe ich, das Bike neben mir schiebend, bis die Piste leicht nach unten abfällt und ich aufspringe. Links, rechts, vorne, hinten, überall Biker. Schon nach den ersten Hundert Metern habe ich links und rechts ein paar Bikern einen Ellbogencheck mitgegeben, jeder versucht eben möglichst schnell und möglichst geradeaus durch das Feld zu kommen. Das ist nämlich nicht so einfach. Die Piste ist durch die Schneefälle der vergangenen Woche viel zu weich. Hier kommt auch die Bevorteilung der Schweizer zum Tragen. Die Piste ist, dort wo sie noch frisch von den Pistenraupen planiert ist, noch fest und gleichmäßig genug um schnell darüber zu fahren. Allerdings hinterlässt jeder Fahrer eine etwa 5 cm tiefe und eben gar nicht mehr feste Rille im Schnee, die man möglichst nicht treffen sollte, denn dann kann von Kontrolle nicht mehr groß die Rede sein. Ständig bricht einem eins der beiden Räder aus und man versucht gegenzusteuern. Im oberen, noch flachen Teil äußert sich das durch eine Zick-Zack-Fahrweise. Aber spätestens im ersten Steilstück, wenn man schneller wird, wird man beim Treffen einer solchen Rille dermaßen herumgeworfen, dass ich des öfteren mit einem Abgeworfenwerden gerechnet habe, was ich wie durch ein Wunder bis ins Ziel verhindern konnte. Man fühlt sich irgendwie wie in Texas bei einem Bullride. Nach den ersten beiden Kurven auf einem Ziehweg wird die Piste extrem breit und man hat endlich Platz genug, eine Linie ohne die gefürchteten Rillen zu suchen. Hier kann ich es zum ersten Mal richtig laufen lassen und traue mich sogar kurz, einen Blick in die überwältigende Bergkulisse zu werfen. Schließlich thront über dem Skigebiet einer der höchsten Gipfel der Alpen: der ‚Dom‘, welcher im blauen Himmel unglaublich mächtig aussieht und mit seinen 4500m leider auch den Blick aufs Matterhorn im Nebental, versperrt. Jetzt macht das Rennen richtig Bock, der Pistenzustand ist sehr gut einzuschätzen, da der unberührte Schnee sich sehr gut beherrschen lässt, bis es in den sagenumwobenen Panoramahang geht, der leider auf den Helmkameravideos, von denen ich die Strecke nur kannte, nicht wirklich steil aussah.
Was sich dann aber vor mir auftat, erschreckte mich dermaßen, dass mir Gedanken in den Kopf schossen, warum ich um alles in der Welt so ein Rennen mitfahren muss und ich mir sicher war, dass es mich jede Sekunde über den Lenker werfen würde. Links und rechts fielen reihenweise die Biker auf die Schnauze, aber irgendwie konnte ich mich durch den Hang retten. Es war doch richtig, etwas defensiv in den Hang hineinzufahren, denn die erste Hälfte versuchte ich mit blockierenden Hinterrad nicht allzuschnell zu werden, was zwar wegen fehlender Bremswirkung misslang, aber mich vielleicht doch vor einem Sturz bewahrte. Ab der Häfte des Hanges wollte ich es aber wissen und öffnete die Bremse – 86,7 km/h zeigte später die GPS-Messung an dieser Stelle – schon atemberaubend, auf Schnee, mit einem Bike. In der nächsten Linkskurve hatte ich dann noch einmal Feindkontakt. Lustig dabei war nur, dass ich bereits Hundert Meter zuvor wusste, dass ich diesen Kerl treffen werde, man aber mehr oder weniger nichts dagegen machen kann. Wenn du auf Schnee zuviel korrigierst, stürzt du, also musst du immer mit leichten Korrekturen versuchen, um die Kurve zu kommen, auch wenn dich der Schnee oder eine Rille irgendwoanders hin zieht. Gerne hätte ich das Rennen von einer vorderen Position aus erlebt, denn durch die frischpräparierten, glatten Pisten hat man einen riesigen Vorteil und kann mit offener Bremse gen Tal rasen. Aber auch so war es absolut der Hammer. Nach einer weiteren langen Geraden mit gemächlicher Steilheit kommt eine Schlüsselstelle – eine schwarze Piste, ultra-steil, selbst mit Skiern, bei der man am Ende nach links in einen Ziehweg einbiegen muss. Glücklicherweise hatte ich die Stelle aus dem Youtube-Video im Kopf, da dort ein Protagonist viel zu spät gebremst und geradeaus in eine Schlucht hinabgesegelt ist. Deswegen begann ich schon bei der Einfahrt in den Hang mit dem Bremsen. So jedenfalls der Plan. Denn von Verzögerung war hier eigentlich nichts zu spüren. Trotz blockierendem Hinterrad und auch teilweise blockierendem Vorderrad wurde ich immer schneller. Dann mein Geistesblitz: Auf den blockierten Hinterreifen setzen, beide Fersen in den Schnee rammen und in schlittenartiger Manier hoffen, genügend Bremswirkung aufbauen zu können. Es gelang. 50cm trennten mich von der Schlucht bevor ich nach links abbiegen konnte. Geil! Das war ein Feeling! Fast null Kontrolle in diesem Hang, bei dem es einem den Lenker nach links und rechts gehauen hat, weil die aufgewühlte Piste nur so mit dir spielen wollte.
Echt ein geiles Feeling – spätestens jetzt kam der lang ersehnte Adrenalinschuss mit einer Prise Glückshormonen, den Hang ohne Sturz geschafft zu haben. Danach kamen noch zwei steile Hänge, bevor es in ein paar Ziehwege in Richtung des Ziels ging. In einer Rechtskurve noch einem Baum ausgewichen, versuchte ich noch die drei Leute vor mir zu erwischen, da ich mit meinen Reifen auf dem weichen Schnee gut voran kam. Ich hatte mir schließlich für das Rennen eigens 15 Jahre alte 3.0er Point Racing Reifen besorgt, um mit nur einem Bar Luftdruck möglichst viel Auflagefläche zu generieren, die absolut richtige Entscheidung – denn diese Kombi hatte gegen die oft verwendeten 2.3 Rain Kings wirkliche Vorteile. Die letzten Meter konnte man nochmal richtig genießen, bevor es ins Ziel ging, wo schon 98 Fahrer auf mich warteten – egal, das Ziel unter die ersten Hundert zu kommen war erreicht.
Während ich auf meine beiden Kumpels wartete, kam ich mit den anderen ins Gespräch und jeder philosophierte über seine Abfahrt. Auch ein Reiz eines solchen Rennens, die Erlebnisse mit Gleichgesinnten zu teilen.
Fazit:
Ein absolut verrücktes Rennen, bei dem Kontrolle übers Bike zu haben mehr als Glückssache ist, zumindest wenn einige Tage zuvor 60cm Neuschnee gefallen sind. Bei vereisten Bedingungen kann ich mir vorstellen, dass es viel besser zu fahren ist. Ein tolles Erlebnis war es allemal, auch da das Rennen noch vor Beginn des Skitages zu Ende ist und man auch noch das Skigebiet den ganzen Tag genießen kann. Ich komme auf jeden Fall mal wieder!
Life is too short not to go big!
Michael Biederer
Jeder der das Rennen zum ersten mal fährt fangt hinten an, darum seit ihr halt auf den Plätzen 148-150 gestartet und wenn man das Rennen schon mal gefahren ist startet man nach Ranking aus den Vorjahren. Da gehts nicht nach Anmeldeeingang sondern die Schnellsten starten vorne. Schade wegen dem Kommentar „Zuerst die Schweizer…“. Vielleicht erst jemanden fragen der sich damit auskennt.