Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, wie es ist, als normaler Skifahrer eine für einen Lauf präparierte Weltcuppiste hinunterzufahren? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, waren wir beim Weltcup-Riesenslalom der Damen am Kronplatz in Südtirol und durften die Rennstrecke ein paar Stunden vor dem Rennen selbst einmal ausprobieren.
Wenn sich am Wochenende die besten Skifahrer auf den schwierigsten Abfahrten der Welt messen, bleiben am TV-Schirm zwei Aspekte des Rennens oft unerkannt. Zum einen kann die tatsächliche Steilheit des Geländes über Kameras kaum eingefangen werden, zum anderen sieht man der Piste nicht an, wie sehr sie sich von „normalen“ Abfahrten unterscheidet. Wahrscheinlich machen sich die meisten Fernsehzuschauer auch keine Gedanken darüber, ob so eine Piste anders zu befahren ist. Wir haben es im Selbstversuch getestet. Als ich im Vorfeld des Besuchs mit dem Organisator des Worldcups am Kronplatz, Diego Clara, die letzten Details abspreche, fällt der Satz: „Aber ihr müsst schon wissen, was ihr da tut. Die Piste ist pures Eis.“ Erst bei diesem Satz fange ich das erste Mal an, mir überhaupt Gedanken über unser Vorhaben zu machen, das ich bisher als ziemlich leicht hingenommen hatte. Spätestens jedoch, als wir mit Pistenchef Klaus Kastlunger kurz vor dem Rennen den fertig gesteckten Kurs abfahren dürfen, klärt sich die Lage schnell auf. Nach den ersten paar Schwüngen hinter dem Starthäuschen scheint es mir überhaupt nicht schwierig, hier abzufahren, so griffig und perfekt planiert ist die Piste. Also unterscheiden sich Weltcuppisten doch nicht von normalen gut präparierten Hängen?
DIE PERFEKTE EIS-SCHICHT
Wichtig bei einer Weltcuppiste ist außer der vorgegebenen Länge, der Toranzahl und den Höhenmetern vor allem, den ersten Fahrerinnen exakt dieselben Bedingungen zu geben wie den letzten. Um das garantieren zu können, müssen Weltcuppisten sehr hart und geradezu vereist sein, damit beim Befahren der Sportler keine tiefen Rillen oder gar Schneeverwerfungen entstehen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist einiges an Vorarbeit notwendig: Bereits Ende Oktober wird der erste Kunstschnee für die „Erta“, so der Name der
Weltcuppiste am Kronplatz, produziert. Die Schneekanonen werden dabei so eingestellt, dass das weiße Gold besonders nass zu Boden fällt, dort hart gefriert und so den unaufweichlichen Grundstein für eine stabile Weltcuppiste bildet. Wenn schließlich genügend künstlicher Schnee vorhanden ist, wird fünf Tage vor dem Rennen damit begonnen, alle paar Zentimeter Wasser unter hohem Druck in die Piste zu injizieren. Der bis in die Tiefe mit Wasser versetzte Schnee gefriert und formt eine knallharte Piste. Dabei kann der Abstand der Injektionen und die Menge an Wasser so variiert werden, dass eine optimale Eisschicht entstehen kann, je nachdem, welche Disziplin dort ausgetragen wird und wie die Eigenheiten des Hanges sind.
Für Männer ist die Piste etwas härter als für Frauen. Dabei spielt es aber auch eine große Rolle, was die Piste in den letzten Wochen erlebt hat, also etwa welche Wetterbedingungen in den letzten Wochen auf sie eingewirkt haben. Der Pistenchef braucht hier ein Gefühl, wie viel Sonneneinstrahlung vorhanden war, wie viel Neuschnee oder eventuell gar Regen gefallen ist und wie er darauf reagieren muss. Nach der Injektion bekommt die Piste ein paar Tage Ruhe zur Aushärtung und Stabilisierung. Danach wird die vereiste Oberfläche mit der Pistenraupe angefräst, um Unebenheiten zu entfernen und die oberste Schicht aufzurauen. Hierin liegt auch die Antwort, warum uns die Piste beim ersten Befahren nicht sehr hart vorgekommen ist. Wenn das Wetter, wie bei unserem Besuch, gleichbleibend sonnig und kalt ist, kann Klaus seine Abläufe optimal planen und ausführen. Ganz anders sieht es aus, wenn sich die Bedingungen kurz vor dem Renntag ändern und beispielsweise Neuschnee fällt. Wenn das einige Tage vor dem Rennen passiert, wird versucht, diesen in die Piste einzuarbeiten und ihn bei der Injektion von Wasser auch zu vereisen. Sollte der neue Schnee aber erst kurz vor dem Rennen fallen, muss er mit den Pistenraupen aus dem Hang entfernt werden, da die Piste sonst nicht mehr die erforderliche Härte erreichen würde. Bei warmen Temperaturen wird es noch interessanter, denn dann kommt Salz zum Einsatz, um den weichen Schnee wieder zu verfestigen. Das klingt erst einmal seltsam, schließlich ist man gewohnt, dass Salz den Schnee zum Schmelzen bringt. Bei gewissen Bedingungen kann man Salz aber auch zum Verfestigen einer Skipiste benutzen. Da Salz grundsätzlich in Lösung gehen, also sich im Schnee auflösen will, benötigt es Energie, die es aus der Umgebung bezieht. Dadurch entsteht die sogenannte Verdunstungskälte, und man kann in einem kleinen Zeitfenster die Piste wieder zum Gefrieren bringen, auch bei Temperaturen im Plus-Bereich.
VIEL AUFWAND FÜR EINEN TAG
Obwohl die Piste bei unserer Besichtigung schon in einem optimalen Zustand zu sein schien, ist gerade am Renntag nochmals entscheidend, ob man optimale Bedingungen für alle Athletinnen schaffen kann. Die gesteckte Strecke wird am Vormittag des Renntages durch die Athletinnen, deren Trainer und viele weitere Beteiligte inspiziert und befahren. Über 200 Kanten schaben dabei die ersten paar Zentimeter von der noch weichen Piste ab, die am Vortag noch deutlich mehr Halt gegeben haben. Erst wenn der lockere Schnee abgetragen ist, kommt das pure Eis zum Vorschein, und die Piste ist endgültig fertig. Damit ist der Job für die Pistenpräparateure aber noch nicht erledigt, denn selbst während des Rennens muss das Niveau der Piste erhalten werden. Dafür wird die Strecke in Abschnitte eingeteilt, in diesem Fall in sieben, die von sogenannten Rutschern besetzt sind. Nach jeder einzelnen Läuferin macht sich aus jedem Abschnitt einer dieser Rutscher auf den Weg, um seine zugeteilten Tore mit den Kanten seiner Ski zu präparieren. Kleine Schneehaufen und offene Carvingspuren sollen damit beseitigt und die Strecke wieder in den Optimalzustand versetzt werden. Während der offiziellen Fernsehpausen kommt nochmals eine größere Anzahl an Rutschern zum Einsatz, die die komplette Piste von Start bis Ziel nachpräparieren.
Hier gilt: Je schneller einer dieser Präparateure unterwegs ist, desto besser und fester wird die Piste wieder verschlossen. Also selbst hier kommt es auf das Können des einzelnen Skifahrers an. Für die Italienerin Federica Brignone waren die Bedingungen an diesem Tag perfekt, und sie konnte einen Heimerfolg für sich verbuchen. Bedenkt man, dass die Vorbereitung der Piste zwar wesentlich für den Erfolg der Veranstaltung ist, aber welcher Aufwand dahintersteckt, stellt man sich die Frage, wieso man diesen betreibt. Von Kosten in Höhe von geschätzt einer Million Euro ganz zu schweigen. Aber so ein Weltcup bringt eben auch ein großes Medieninteresse mit sich und ist somit ein Marketinginstrument, um ein Skigebiet in den Köpfen der Skifahrer zu verankern. Schließlich müssen sich die Skigebiete heutzutage gewaltig anstrengen, um bei den potenziellen Gästen Interesse zu wecken.
EIN EISIGER HÖLLENRITT
Nachdem die vielen Kanten der professionellen Rutscher, Trainer und Athleten die oberste Schicht abgetragen haben, wollen wir „Erta – die Steile“ natürlich noch einmal befahren, um den wahren Härtegrad der Piste kennenzulernen. Bei der zweiten Abfahrt schimmert an jedem Tor das blaue Eis durch den Schnee, und man merkt schon beim ersten Schwung, wie hart sie nun wirklich ist und welchen Unterschied das Abkratzen der Schneeschicht macht. Vorher hatte ich noch das Gefühl, dass so eine Weltcuppiste für einen guten Skifahrer recht einfach zu fahren ist, und war sogar etwas enttäuscht. Das ändert sich nun völlig, plötzlich schnellt der Puls ordentlich nach oben. Auf den Flachstücken kann man seine Kanten mit viel Kraft gerade noch in das pure Eis schneiden und carven, auch wenn man das mulmige Gefühl hat, dass man jederzeit wegrutschen könnte. Das geschieht auch sofort, wenn man auch nur ein wenig Kraft von der Kante nimmt. Dann verliert der Ski seinen Halt, und man kann den Schwung nicht mehr halten. Etwas zu schnell fahre ich also – dank meiner Eindrücke aus dem ersten Run – in das erste der Steilstücke ein und will in Weltcupmanier ein Tor umkurven, was sofort deutlich macht, dass ich skifahrerisch in einer ganz anderen Liga unterwegs bin! An Carven ist auf dem nun steinharten Untergrund nicht mehr zu denken, und so eiere ich, in einer Mischung aus Carving-Pose und Pflug, erschrocken der Begrenzung entgegen. Unfassbar finde ich, wie die Rennläufer solche Kurven wie auf Schienenmeistern und die Abfahrt so einfach wirken lassen. Um hier genauso zu carven wie auf den flachen Teilen, müsste man mit brachialer Kraft seine Kanten in den Hang schlagen. Und wenn auch nur ein wenig Unsicherheit in einer Kurve aufkäme, würde man den restlichen Hang bäuchlings hinabrutschen. Für einen sehr guten Skifahrer ist so eine fertig präparierte Weltcuppiste zwar noch gut zu fahren, an hohes Tempo und halbwegs sauberen Fahrstil ist aber eher nicht zu denken. Fazit: Den Adrenalinpunch gab es für mich bei diesem Test auch ohne Rennen.
Man zollt automatisch allen Athletinnen, die sich hier auf blankem Eis die gesamten 405 Höhenmeter herunterstürzen, ohne einmal bremsend abzuschwingen, wie man es als Laie tun möchte, höchsten Respekt. Eine solche Erfahrung kann der Fernseher leider nicht übertragen, sonst würde man den Sportlern noch mehr Bewunderung zollen. Unten angekommen, muss ich erst einmal kräftig durchatmen, um meinen Puls wieder herunterzubekommen und das Erlebte zu verarbeiten. Was für eine Erfahrung, die einen Skirennen fortan mit anderen Augen schauen lässt. Sobald das Rennen vorbei ist, muss die Piste wieder für den normalen Publikumsverkehr freigegeben werden. Bevor das geschieht, müssen natürlich alle Fangzäune und Ähnliches abgebaut werden und vor allem die Härte der Abfahrt geändert werden. Dies geschieht, indem die Pistenbauer mit der Schneeraupe die Piste mehrfach fräsen, also das Eis aufbrechen, um die Piste aufzulockern. Zwei Tage nach dem Rennen kann sie wieder normal befahren werden, auch wenn man laut Pistenchef Klaus Kastlunger den restlichen Winter merken wird, dass diese Piste etwas härter ist als die anderen. Weltcuppisten haben mit den üblichen Pisten in den Skigebieten wenig gemeinsam. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen. Trotzdem kann sich jeder Skifahrer in den entsprechenden Skigebieten in den Wochen nach den Rennen sein eigenes Bild von diesen Pisten machen. Scharfe Kanten und ein Sinn für Realität und das eigene Fahrvermögen helfen dabei, sicher hinunterzukommen. Denn nach einem Sturz gibt es auch bei der aufgebrochenen Piste nur eine Richtung: steil nach unten.
Erschienen im SkiAGAZIN 05/2018. Das komplette Heft ist im SportCombi Shop (Link: https://www.sportcombishop.de/de/product_info.php?info=p427_skimagazin-05-18-printausgabe.html) nachzubestellen oder kann als E-Paper (Link: https://www.sportcombishop.de/de/product_info.php?info=p185_skimagazin-epaper.html) heruntergeladen werden.